Die historische Entstehung der Führungskräfte als Berufsstand

Benjamin Franklin gilt als Urheber eines der bekanntesten, geflügelten Wörter des Industriezeitalters: „Zeit ist Geld“. – Denken wir einmal an die Frühzeit der Industrialisierung in England zurück. In den Städten schossen Fabriken wie Pilze aus dem Boden. Hierin gab es jede Menge Maschinen, die bedient werden mussten. Da der Bedarf an den neu entstandenen Industriearbeitern groß war, zogen immer mehr ungelernte Landarbeiter in die Städte, um sich in den Fabriken zu verdingen. Bei ihrer ursprünglichen Feldarbeit waren sie gewohnt, sich nicht nach Uhren, sondern nach Tageslicht und Wetter richten. Dieser Gewohnheit folgend, nahmen sie es auch mit der Pünktlichkeit bei der neuen Fabrikarbeit nicht sonderlich genau. Uhren waren ihnen schließlich unbekannt, denn als Analphabeten hätten sie damit auch nur bedingt umgehen können. Dazu kam, dass sie gewohnt waren, während der Arbeitszeit Alkohol zu konsumieren, weshalb sie vom Arbeitsplatz nach Hause gingen, wenn sie müde waren. Bezahlt wurden die Arbeiter jedoch schon zu Beginn der Industrialisierung nach Arbeitszeit. So waren die bezahlten Arbeitstage verschiedener Arbeiter unterschiedlich lang und somit auch ihre Produktivität höchst verschieden. Dies wollten die Eigentümer der Maschinen so natürlich nicht zulassen, denn „Zeit ist Geld“. So wurden schon bald zwei Dinge eingeführt, die es bis in unsere Tage gibt: Zeitkontrolle und Kontrolleure – die Urform der Führungskräfte. Wurden zunächst Komm- und Gehzeiten der Fabrikarbeiter durch die neu entstandenen Kontrolleure schriftlich festgehalten, übernahm diese Aufgabe Ende des 19. Jahrhunderts die berühmten Stechuhren.

Misstrauen verpulvert Geld

So hielt also die Pünktlichkeit als eines der Fundamente des Kapitalismus Einzug in den Alltag der Arbeitnehmer. Von nun an war der Tagesablauf klar strukturiert und nicht mehr an den eigenen Bedürfnissen, sondern an den Bedürfnissen der Fabrik orientiert. Dennoch gab es auch während der nunmehr klar geregelten Arbeitszeit genügend Spielraum, die Arbeit ruhiger als nötig anzugehen. Darauf reagierten die Arbeitgeber mit der bis heute fest etablierten Hierarchiepyramide: Die Arbeiter werden von Vorarbeitern kontrolliert. Die Vorarbeiter stehen unter der Aufsicht von Schichtleitern, die wiederum von Vorgesetzten kontrolliert werden usw. Herrlich: So ist ein ganz neuer Berufsstand – die Führungskraft – entstanden, die als dringend notwendig angesehen wird, aber im Grunde nichts zur Wertschöpfung beiträgt! Ihre Hauptfunktion besteht eigentlich nur darin das Misstrauen des Eigentümers in seine Arbeiter abzubauen, wobei der Fabrikbesitzer wiederum seinen Führungskräften misstraut, weshalb er sie oder zumindest die oberen Führungsebenen selbst geflissentlich kontrolliert. Dieses Vorgehen wird heutzutage mit dem Wort „Management“ vornehm umschrieben, dient aber immer noch demselben Zweck, nämlich Misstrauen und vermeintliche Kompetenzdefizite zu kanalisieren und zu verwalten. Dabei nehmen die Verwaltungen in modernen Unternehmen einen enormen Bereich der Belegschaft ein und verursachen damit jede Menge unproduktiver Personalkosten. Misstrauen führt somit also nicht wie eigentlich beabsichtigt zur Kapitalsicherung, sondern zur Kapitalvernichtung! Interessanterweise ist diese Form der Kapitalvernichtung bei uns gesellschaftlich bestens akzeptiert.

Der Mythos vom Arbeitnehmer des Typs X

Sind wirklich alle Arbeitnehmer dem Typ X in der Theorie von Douglas McGregor zuzuordnen? D. h. sind alle Arbeiter arbeitsscheu, faul, unmotiviert – bestenfalls extrinsisch motivierbar, oder gehören sie eher zum Typ Y der Erfüllung in seiner Arbeit sucht, intrinsisch motiviert und engagiert ist? Geht es nach Frederick Taylor, so ist der Typ X klar dominierend, weshalb man das Controlling in jedem Unternehmen ausbauen muss. Viele Kennzahlen und Normen sind erforderlich, damit die von Natur aus unwilligen Arbeitskräfte in der Spur gehalten werden. Leider ist die kasual-induktive Schlussweise Taylors logisch falsch und unwissenschaftlich. In einer Atmosphäre, in der Arbeitsteilung und das akkordhafte Abarbeiten kleinster, vorgegebener Aufgaben das Maß der Dinge sind, können Innovationen und Kreativität nicht gedeihen. Gerade die enorme technologische Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte zeigt jedoch, dass Ideen in der Arbeitnehmerschaft hinreichend vorhanden sind. Dies ist auch nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, dass der typische Arbeitnehmer von heute ein gutausgebildeter Wissensarbeiter und nicht der Alkohol trinkende analphabetische Landarbeiter vom Beginn der Industrialisierung. Die modernen Arbeitskräfte gehören als eher zum McGregorschen Typ Y als zum Typ X. Umso erstaunlicher ist, dass die Organisationsformen der Unternehmen seit dem Beginn der Industrialisierung weitgehend gleich geblieben sind und sich den gesellschaftlichen und Produktinnovationen entziehen konnten.

Vertrauen ist Geld!

Wäre es nicht eigentlich sinnvoller, die gewaltige Geldvernichtung durch Misstrauen in den Unternehmen abzuschaffen und stattdessen auf Vertrauen zu bauen? Statt jeder Menge siloartiger Abteilungen, die sich gegenseitig behindern, würden interdisziplinäre Teams sich selbst organisieren und ohne kommunikative Schranken effizient und effektiv arbeiten. Und wo bleiben darin unsere Führungskräfte? Sie kümmern sich um die Strategien ihrer Bereiche, entwickeln Visionen und Ziele und fungieren als Coaches der cross-funktionalen Teams. Nicht mehr die zu leistenden Arbeitsstunden stünden dann im Vordergrund, sondern die gemeinsamen Ziele der Teams. Die Arbeitnehmer könnten sich ihre Zeit selbst einteilen und dann arbeiten, wenn sie am produktivsten sind. Somit wären alle wesentlichen an der Wertschöpfung, statt an purer Verwaltung beteiligt. Was aber ist die Voraussetzung für diese andere Art der Arbeit? Vertrauen! Da Vertrauen auf Kontrolle verzichten kann, entstehen dafür auch keine Aufwände mehr. Die frei gewordenen Kapazitäten können direkt produktiv eingesetzt werden. Deshalb ist Vertrauen Geld!