Wenn’s nicht läuft, rufen wir nach Wunder-Tools
Was kann ich tun, wenn es in meinem Unternehmen mal nicht so richtig läuft? Wir arbeiten bis zum Umfallen damit wir unsere Projekte gewuppt bekommen und trotzdem gehen die Gewinne stetig zurück! – Dann wird meist der Ruf nach Standardtools oder Best Practices laut. Eine neue Wunder-Software muss her; Berater werden angeheuert, von denen wir erwarten, dass sie genau diese Werkzeuge mitbringen – Wir müssen sie dann nur noch anwenden und alles wird gut.
Es gibt keine Best Practices, sondern allenfalls Good Practices
Dieser Ansatz mag vielleicht früher – im Zeitalter träger Märkte – einigermaßen hingehauen haben. Heutzutage leben wir jedoch in einem komplexen Umfeld mit hochdynamischen Märkten und ihren unvorhersehbaren Abhängigkeiten. Lineare Lösungen funktionieren deshalb nicht mehr. Simple Ursache-Wirkungs-Ketten, auf denen der Glaube an Management und Steuerungsmechanismen beruht, verlieren in einer komplexen Welt ihre Sinnhaftigkeit. Best Practices sind Methoden, die in einem bestimmten Unternehmen zu einer bestimmten Zeit und in einem bestimmten Kontext wunderbar funktioniert haben. Daraus den Schluss zu ziehen, dass diese Methoden deshalb in einem anderen Unternehmen und in einem anderen Kontext ebenfalls funktionieren werden, ist logisch schlichtweg falsch. Methoden, die in einem Betrieb exzellente Ergebnisse hervorbringen, können in einem anderen Unternehmen komplett versagen. Das liegt jedoch nicht daran, dass man sie dort vielleicht falsch anwendet, sondern dass der Ansatz untauglich ist. Best Practices gibt es in Wahrheit nämlich nicht, sondern allenfalls Good Practices. Diese Good Practices muss aber jedes Unternehmen für sich selbst entwickeln. Und selbst wenn es dann in einer Firma ein Set von Tools und Methoden gibt, die für die eigenen Zwecke geeignet sind, dann werden sie nicht bis in alle Ewigkeit gut sein. Vielmehr müssen auch die Good Practices ständig hinterfragt, angepasst und ggf. durch bessere Werkzeuge ersetzt werden. Dieses Vorgehen wird auch gerne mit dem Begriff KVP – kontinuierlicher Verbesserungsprozess – bezeichnet.
Umdenken: Der Rahmen muss stimmen
Was brauche ich aber, um meine Methoden kontinuierlich zu verbessern? Die Verbesserung muss zielgerichtet, also effektiv vonstatten gehen, damit sie nicht ins Chaos abgleitet. Deshalb muss es einen Rahmen geben, in den der KVP eingebettet ist. Der klassische Ansatz – hierarchisch organisierte Kontrollinstanzen (Führungsebenen) – sind dafür denkbar ungeeignet, weil sie Innovation und Verbesserung systematisch verhindern. Wer erfolgreich sein will, darf Komplexität nicht verleugnen, sondern muss sie akzeptieren. Komplexität lässt sich auch nicht managen oder gar reduzieren (Physiker wissen, dass die Entropie nicht abnimmt :-)). Daher sind deterministische Planungs- und Steuerungsmechanismen auch pure Zeitverschwendung. Doch müssen wir deshalb nicht verzweifeln, sondern einfach umdenken: Agile Frameworks wie z. B. Scrum sind genau dafür entwickelt worden, hervorragende Qualität mit einem hohen Grad von Verbindlichkeit (Zeit und Budget) in einem komplexen Umfeld zu vereinen. Wir müssen einfach nur den Mut haben die trügerische, aber falsche Sicherheit von sog. Best Practices über Bord zu werden und unseren eigenen agilen Rahmen für unser eigenes, sehr spezielles Unternehmen zu entwickeln. Und wer jetzt denkt Agilität sei eine Modeerscheinung, die nur in der Software-Industrie funktioniere, befindet sich auf dem Holzweg: Die Grundlagen für agile Vorgehensmodelle stammen aus den 1950er Jahren und gehen auf die japanische Automobilindustrie zurück!